2010-04-24

ein schöneres leben für alle: das bedingungslose grundeinkommen in der taz von gestern.

Humboldts Erbe

JUNGE UTOPIEN (V) An Arbeit mangelt es nicht, nur an angemessener Entlohnung. Mehr Halbtagsjobs und ein Grundeinkommen würden das Problem lösen

Als Alexander von Humboldt 1859 starb, war er zwar weltberühmt, aber auch völlig verarmt und hoch verschuldet. Der Mann, der heute als letzter Universalgelehrte und Vater der modernen Geografie und Klimaforschung gilt, konnte sich seine Expeditionen und deren jahrzehntelange Evaluation überhaupt nur leisten, weil er noch etwas anderes war: Erbe.

Was hat das mit uns zu tun und der Arbeitswelt, in der wir leben? Viel, wenn ich mich in meinem Freundes- und Bekanntenkreis umsehe. Ich kenne Menschen, die Kranke und Alte pflegen; die renommierte Musik machen und damit Clubs füllen; Menschen, die kluge Theaterstücke und Hörspiele schreiben; die Adressen in Datenbanken eingeben; wieder andere, die einen Schafbauernhof führen und Biokäse herstellen. So unterschiedlich ihre Arbeit ist - was diese Menschen verbindet, ist, dass sie alle verdammt wenig Geld verdienen.

Menschen, die trotz Arbeit kaum über die Runden kommen, weil ihr Einkommen kaum zum Leben reicht, nennt man "Working Poor" oder "Prekariat". Ursprünglich waren damit ungelernte Arbeiter, Putzhilfen oder die Kassiererin im Supermarkt gemeint. Doch durch die wachsende Zahl arbeitsloser Akademiker und Menschen, die trotz guter Ausbildung in unsicheren Beschäftigungsverhältnissen oder ewigen Praktika herumdümpeln, hat sich der Kreis ausgeweitet.

Boheme ohne Kühlschrank

Einigen ist die Art ihrer Arbeit wichtiger als die Höhe der Entlohnung, manche verklären ihren Lebensstil gar zur "digitalen Boheme". Andere wiederum stellen gar keine allzu großen Ansprüche an ein erfülltes Arbeitsleben und geben sich mit einem minimalen Gehalt zufrieden. Allen gemein ist, dass sie sich auf einem niedrigen finanziellen Niveau irgendwie eingerichtet haben. Ohne Altersvorsorge natürlich, und der Kühlschrank darf bitte auch nicht kaputtgehen.

Auch ich gehöre zu dieser Gruppe. "Wenn ich nicht arbeite, arbeite ich an etwas anderem", um es mit den Worten des Gesellschaftstheoretikers Niklas Luhmann zu sagen. Ich bin immer beschäftigt, und das Geld reicht gerade eben so. Jedenfalls fast.

Ich wünsche mir eine Arbeitswelt, in der Geld keine Rolle spielt, weil alle genug zum Leben haben und sich keiner dafür verkaufen muss. Eine, in der es genügend gute Arbeit gibt. Wie das funktionieren soll? Durch Halbtagsjobs oder ein bedingungsloses Grundeinkommen, zum Beispiel. Dazu müsste man sich erst einmal vom Mythos der Vollbeschäftigung verabschieden. (Adieu!) Und von dem Gedanken, dass nur derjenige etwas wert ist, der viel arbeitet und viel verdient. (Tschüss!) Was ist das überhaupt für ein Wort: "verdienen"? Verdient ein Investmentbanker mehr als eine Erzieherin in der Kita? Finanziell: ja. Gesellschaftlich gesehen: eher nein.

Mehr Zeit durch Halbtagsjobs

Ich glaube, diese Gesellschaft wäre eine glücklichere, würde es mehr halbe Stellen geben. Durch Halbtagsjobs hätten mehr Menschen Arbeit und würden ihr eigenes Geld verdienen. Dadurch würde ihr Selbstwertgefühl steigen und auch die Zufriedenheit. Mehr Menschen hätten dadurch außerdem mehr Zeit zur Verfügung: Zeit für Hobbys, für ehrenamtliches Engagement, für ihre Familien. Für Konsum. Aber klar: Manche hätten dadurch auch weniger Geld.

Ein bedingungsloses Grundeinkommen, wie es etwa Werner Götz, der Chef der Drogeriekette dm, fordert, könnte dieses Problem lösen. Auch ich glaube, wie er, an die Kreativität der Menschen. Ich glaube, dass niemand ernsthaft nicht arbeiten möchte. Ich bin der Meinung, dass jeder etwas Sinnvolles mit seinem Leben anfangen will. Und ich denke nicht, dass eine finanzielle Grundsicherung Trägheit fördert. Im Gegenteil: Ich kann mir vorstellen, dass sich durch ein Grundeinkommen die Arbeitsbedingungen in vielen Jobs verbessern würden, ja sogar müssten. Weil niemand mehr auf unterbezahlte Arbeit zu miesen Bedingungen angewiesen wäre.

Schluss mit der Hausfrauenehe

Natürlich dürften diejenigen, die Lust auf eine 60-Stunden-Woche haben und denen ein Gehalt von 6.000 Euro netto wichtig ist, auch weiterhin so viel ackern. Doch sollten jene, die ebenso viel arbeiten, aber eher 6.000 Euro im Jahr nach Hause bringen, nicht auf Sozialleistungen angewiesen sein. Jeder Mann und jede Frau sollte seine Würde behalten können.

Dringend brauchen wie auch eine echte Gleichberechtigung von Frauen und Männern im Berufsleben. Wir schreiben das Jahr 2010. Doch noch immer gibt es verschiedene Mechanismen, die die sogenannte "Hausfrauenehe" belohnen und eine gleichberechtigte Partnerschaft bestrafen.

Dass diese Regierung über ein "Betreuungsgeld" für Eltern diskutiert, die ihr Kind nicht in eine Kita gehen lassen, ist deshalb absurd. So absurd wie das Ehegattensplitting, bei dem jenes Ehepaar, bei dem Mann und Frau gleich viel verdienen, steuerlich am schlechtesten dasteht. Oder eine Familienversicherung bei der Krankenkasse, die nur für Paare infrage kommt, bei denen einer der Partner praktisch nichts verdient. Warum haben Kitas immer noch Öffnungszeiten, die von der Nichterwerbstätigkeit eines Elternteils ausgehen? Warum gibt es keine flächendeckende, günstige Kinderbetreuung für unter Dreijährige? Warum verdienen deutsche Frauen noch immer deutlich weniger als Männer? Und warum werden männliche Politiker, die nur sechs Wochen Elternzeit nehmen, nicht dafür ausgelacht, weil das lächerlich wenig ist? Weil wir uns noch immer nicht vom Deutsche-Mutter-Mythos verabschiedet haben. (Get lost!)

Alexander von Humboldt konnte sein Lebenswerk vollbringen, weil er ein Mann war und über eine Grundsicherung verfügte - weil er durch sein Erbe eben von Geburt an privilegiert war. In meiner idealen Arbeitswelt sind wir alle privilegiert. Privilegiert, das zu arbeiten, was wir können und möchten. Gleichberechtigt und zu humanen Bedingungen. Das ist meine Utopie von der Arbeitswelt. Und sie könnte sogar funktionieren.

KIRSTEN REINHARDT


Kirsten Reinhardt

 32, arbeitet überaus gern. Zurzeit ist sie drei Tage in der Woche in der Online-Redaktion der taz und in der restlichen Zeit zu Hause am Schreibtisch beschäftigt.

via taz.de

kirsten reinhardt in der taz vom 23.04.2010
eine bescheuerte überschrift: ein liebevoller artikel.

Posted via web from baustellenruinen

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